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<Abstract>
Das Bild erhält im Gefolge des gesteigerten
Nachrichtenwesens (Infotainment und News rund um die Uhr) als Informationsträger immer
mehr Bedeutung und übernimmt Funktionen, die früher allein der Schrift überlassen
waren. Dies hat Folgen für die Schrift, die in ihrem Wirkungsbereich durch die
Visualisierung beschränkt wird; aber auch für das Bild, das nicht mehr blosse
Illustration sein kann, sondern Bestandteil der Information wird. Einer Information
freilich, die dem Bild erst entnommen werden muss, mit der Gefahr des Missverständnisses.
Als Problem dabei stellt sich, dass wir uns an eine einigermassen verbindliche
Sprachgrammatik gewöhnt haben und mit dieser einigermassen zweifelsfrei umgehen können,
eine verbindliche Bildergrammatik dagegen, die uns das Lesen von Bildern ermöglicht,
bislang nur in Ansätzen eingeübt ist.
Dieses so neuartig scheinende Problem ist indes alt. Schrift und Bild standen schon
früher in engem Kontakt, wenn es um die Vermittlung von Nachrichten ging. Als
exemplarisches Beispiel dafür mag die barocke Bildpublizistik gelten, die in Form von
Flugblättern und -schriften hohe Verbreitung fand. Insbesondere die Zeit der Reformation
und Gegenreformation haben zu einer eigentlichen Inflation an solchen Produkten geführt.
Schrift und Bild stehen
darin in engem Verhältnis zueinander, wie das Beispiel des Flugblattes Der Jüdische Kipper und Auffwechsler zu zeigen
vermag.
Mittels allegorischer Bildzeichen, denen verdeutlichende Stichworte beigegeben sind, wird
ein Sachverhalt bildlich wiedergegeben, der im unten anschliessenden Textteil verdeutlicht
wird. Wichtig dabei ist, dass die Bildzeichen in ihrer Bedeutung bzw. ihrer Variabilität
bekannt sind: avaritia = der Geiz als allegorische Figur mit losen Kleidern und lockeren
Sitten; justitia = die Gerechtigkeit mit Waage und sicherem Stand.
Um diese Bildpublizistik zu verstehen, bedarf es der Kenntnis dieser Zeichen, die
ihrerseits mehr oder weniger normiert sind und in eng gesetzten Grenzen variiert werden.
Gut und schlecht, gottgefällig und teuflisch sind auseinander zu halten. Einige dieser
Zeichen sind in ihrem Bedeutungsgehalt bis heute verständlich, andere dagegen haben sich
verdunkelt: etwa der Krebsgang, der in der frühneuzeitlichen Bildpublizistik für eine
Rückwärtsbewegung steht. |
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Dennoch bleibt die auffällige Tatsache,
dass die Argumentation mit Bildern eine lange Tradition besitzt. Daraus lassen sich einige
Thesen ableiten, die zumindest Ansatzpunkt sein können für eine Diskussion unter
modernem Blickwinkel - voreiligen Klagen entgegenwirkend. (bm)
Thesen
- Bilder bilden ein eigenständiges
Zeichensystem, sie sind nicht nur illustrierende Beilagen zu einem Text, sondern
beinhalten eine Botschaft, die sich auch unabhängig von einem unmittelbar damit
verbundenen Text konstituieren kann.
- Bilder sind in noch höherem Masse als verbale Zeichen durch Mehrdeutigkeit
gekennzeichnet. Der Deutungsspielraum wird allerdings begrenzt durch ikonographische
Traditionen, welche spezifischen Visualisierungsmustern spezifische Bedeutungen zuordnen.
- Ein adäquates Verständnis von Bildern setzt voraus, dass sowohl der
Bildproduzent als auch der Bildrezipient über dasselbe ikonographische Wissen verfügen.
Es bedarf von Seiten des Betrachters einer mehr oder weniger entwickelten
Bildlesekompetenz, es bedarf der Beherrschung der Codes, mit deren Hilfe
Bilder sich entschlüsseln lassen.
- Bilder können auf eine Vielzahl - nicht nur ikonographischer - Traditionen rekurrieren,
die sie auf bisweilen hochkomplexe Weise zu einem argumentativen Netz verknüpfen. Damit
sind sie Teil des individuellen und kollektiven Gedächtnisses. Sie bleiben jederzeit
abrufbar, können in unveränderter Form ins Bewusstsein geholt oder aber aktualisiert
werden.
- Bilder nutzen den zeitgenössischen kulturellen Horizont auf umfassende Weise und
besitzen so nicht nur eine diachrone, sondern auch eine synchrone Dimension. Sie können
retrospektiv nur richtig eingeordnet werden, wenn es gelingt, den jeweiligen Kontext zu
rekonstruieren.
- Bilder sprechen die Sinne stärker an als sprachliche Zeichen. Sie schliessen eine
rationale Perzeption keinesfalls aus, verleiten jedoch in der Regel zu einem affektiven
Zugang zum Dargestellten als dies Worte tun.
- Bilder sind in der Regel weniger präzise als Worte, sie sind dafür sehr ökonomisch.
Auf kleinem Raum können sie äusserst komplexe Aussagen zur Darstellung bringen,
Aussagen, welche in Worte gefasst ein Vielfaches des Raumes, den eine Graphik in Anspruch
nimmt, benötigten.
- Bilder bilden zwar ein eigenständiges Zeichensystem, sie sind jedoch nicht absolut
autonom. Sie bleiben verbunden mit dem Wissenssystem, dem sie angehören, berühren sich
mit unterschiedlichsten kulturellen Manifestationen. Wer einen kulturellen Zusammenhang
nicht kennt, wird die Bilder, die er hervorbringt, nicht richtig verstehen können.
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