Die Visualisierung des Zufalls |
von Bernard Tagwerker |
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<Abstract> Die Herausforderung indessen, mit der sich die Kunst konfrontiert sieht, bleibt gleich, ja sie erneuert sich stets von neuem. Die einen Kunstschaffenden flüchten davor in abgezirkelte Bereiche, andere nehmen die Herausforderung an. Bernard Tagwerker zählt sicherlich zu letzteren. Die Skepsis vor dem Kunstwerk als auratisch-einzigartigem Gebilde hat ihn schon früh zu neuen Techniken geführt, die er seither konsequent umsetzt. Seit 1985 arbeitet er ausschliesslich mit dem Computer. Anstatt freier Pinselschwünge zieht er die mathematisch-vektorielle Ordnung vor, die er mittels eigener Programme zweidimensional umsetzt. Tagwerkers Thema ist der gerechnete Zufall bzw. dessen Visualisierung. Der Computer als ästhetisches
Arbeitsmittel fordert eine Neu-Definition des Kunstbegriffs bzw. der künstlerischen
Originalität; zugleich muss der Wert der Kunst als
ausserökonomische Form nicht in Abrede gestellt werden. Kunst
steht ausserhalb, doch es gibt viele Wege, sie konkret zu realisieren.
Kernstück von Tagwerkers Werken ist ein mechanischer Plotter, der vom Computer gesteuert wird. Er ist derart modifiziert, dass mit ihm die Arbeit mit verschiedensten Materialien möglich ist: mit Ölfarbe, Kreise, Bleistift &c. Eingespannt in die Führschiene können sie auf traditionelle Bildträger wie Leinwand, Karton, Holz aufgetragen werden. Unter dem Strich kommen Werke heraus, die sich äusserlich in nichts von traditionellen Kunstwerken unterscheiden, es sei denn durch Umschreibungen wie Ölfarbe auf Leinwand, Flachbettplotter. Der künstlerische Prozess hat sich zwar völlig verwandelt, doch das Resultat ist gleich: einzigartiges Kunstwerk geblieben. Ideal wäre es, wenn
dabei die Bilder völlig automatisch, von alleine entstehen. Doch
sie bedürfen noch des Anstosses durch den Programmier-Künstler,
der die Zufallsrechenoperation auslöst und die Materialwahl
trifft. Doch sind diese Vorentscheide getroffen, läuft der
Prozess von alleine ab. Der Zufall ist nicht allein
Gestaltungsmittel, sondern auch Inhalt. In seinen Bildern steckt also keine emphatisch vorgetragene Botschaft, es sei denn die: dass auch der Künstler ein recht hat auf Praktikabilität und Zweckfreiheit. Das Glück besteht darin, wenn der ästhetische Prozesse schöne Resultate hervorbringt. Vorab aber gesteht er sich keine bestimmten Vorstellungen der möglichen Resultate zu. Der Künstler gibt sein Genie preis (er wird vielmehr wieder Handwerker); und er will auch nicht aus seinen Erfahrungen lernen. Im Zentrum stehen einzig die Operationalität und der Zufall. Und die Materialität im Sinne eines zu treffenden Vorentscheids. Einzig der nostalgische Hang zur Musealität, zum Museum als Reflexionsraum möchte Tagwerker nicht ganz preisgeben. Eine typische Tagwerker Bildreihe ist die Dreier-Serie mit 100'000 Punkten in Lackfarbe auf grauer Leinwand (1989). Die einzelnen Bildtitel 10 X 10'000 Points, 100 x 1'000 Points und 1'000 x 100 Points verweist auf die Rechenoperationen, die dahinter stehen und die NUR JE EINMAL vorgenommen wurden (Der Computer wird nicht missbraucht zu erhöhtem Output). In 10 Durchgängen hat der Computer 10'000 Punkte gerechnet und zufällig aufs Bildfeld verteilt; dann in 100 Durchgängen 1'000 Punkte, schliesslich in 1'000 Durchgängen 100 Punkte. Das zugrunde liegende Verfahren erinnert an Op-Art, und auch das Resultat ist davon nicht so sehr verschieden. Es entsteht nicht Computerkunst, sondern drei unterschiedliche Strukturen, zufällig generiert, deshalb nie gleich. Überraschenderweise aber bilden sich trotz Zufallsoperation am Ende gewisse Strukturen heraus: eine schräge Schraffur - was auch naturwissenschaftliche Fachleute überrascht und interessiert hat. Vor allem aber bleibt es dabei: es sind drei Bilder, die schön und faszinierend zum Anschauen sind - Kunst halt. (bm) |
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