© Tages-Anzeiger; 2001-01-10; Seite 53
Kultur
Netzkunst provoziert die
Kunstmuseen
Kunst im Internet ist
eine Herausforderung für die Museen. Während in den USA bereits etliche
Institutionen darauf setzen, tun sich hier zu Lande die Häuser schwer damit.
Von Barbara Basting
Die Adressen im Internet
werden allmählich knapp. Deswegen schlug die ICANN (Internet Corporation for
Assigned Names and Numbers), die für die Zuweisung von Domain-Namen zuständig
ist, jüngst neue Adresskategorien vor. Jeder Internetsurfer kennt die Anhängsel
.org, .net, .edu, .com. Zu diesen sollten nun neue wie .info oder .museum
kommen. Dieser Vorschlag könnte zwei Probleme auf einmal lösen: Die Homepages
von Museen im Internet wären klar als solche gekennzeichnet und würden sich von
kommerziellen Anbietern unterscheiden, die auf Verwechslung spekulieren, wie
beispielsweise der "Weblouvre", der nichts mit dem Pariser Museum zu
tun hat. Ausserdem gäbe es endlich einen klar definierten Ort für Kunst im
Internet.
Doch genau deswegen ist das
.museum-Anhängsel nicht unproblematisch. Das erklärte jüngst Jon Ippolito,
Künstler und Kurator für Medienkunst am New Yorker Museum of Modern Art, in
einem polemischen Brief im Rhizome-Digest (www.rhizome.org) an die
Domain-Verantwortlichen. Ippolito versteht sich als Anwalt der Netzkünstler,
wenn er darauf hinweist, dass durch .museum jene Formen der
"Online-Kreativität", die nicht ortsgebunden seien, diskriminiert
würden.
Opposition
der Museen
Es gehört sogar zu den
Kennzeichen der Online-Kunst, dass sie sich seit 1994 zum grössten Teil
ausserhalb traditioneller Institutionen entwickelt hat. Szenegruppen haben an
verschiedenen Orten eigene Medialabs und virtuelle Netzwerke geschaffen. Diese
"Net.art"-Szene, die das World Wide Web mit guten Gründen für den
einzigen sinnvollen Ort ihres Schaffens hält, kultiviert eine trotzige, wenn
auch ambivalente Opposition zum Museum. Netzkünstler sind nämlich generell
wenig daran interessiert, präsentable Objekte oder Artefakte zu schaffen.
Vielmehr setzen sie sich kritisch mit den im Internet zirkulierenden
Datenströmen und Kommunikationsstrukturen auseinander. Ein neueres Beispiel ist
die ironische "Universal Page" (www.universalpage.org) von Natalie
Bookchin/Alexej Shulgin. Eine Spezialprogramm durchkämmt in Echtzeit das
gesamte Web und destilliert daraus eine Art Durchschnittsseite:
unverständlicher Zeichensalat, der sich aber, wie das Netz, ständig ändert.
Ippolito sieht durch die
Domain .museum die mit der Netzkunst neu aufkeimende Hoffnung gefährdet, die
üblichen Fressketten des Kunstbetriebs - von den Galerien über Sammler,
Kritiker, Kuratoren bis zur Endstation Museum - könnten aufgebrochen und neu
definiert werden. Die Chance würde verspielt, von der Fixierung aufs Museum als
höchstrichterlicher Instanz für Kunst loszukommen.
Und noch aus einem anderen
Grund ist die Netzkunst ein wichtiger Katalysator in der Kunst- und
Kulturentwicklung, wie Peter Weibel, Direktor des Karlsruher Zentrums für Kunst
und Medientechnologie ZKM, erklärt: "Durch Webart verwandelt sich jede
bisher rein kulturelle Institution auch in eine Medieninstitution. Jedes Museum
wird automatisch zu einer Sendeanstalt. Es konkurriert in Zukunft mit Funk,
Film und Fernsehen."
Museen als
Auftraggeber
Die führenden Häuser in der
Schweiz haben die rasant fortschreitende Entwicklung dieser neuen Kunstform
bisher verschlafen. Die aufgeschlossensten Museen hingegen, die vor allem in
den USA zu finden sind, treten inzwischen dezidiert als Auftraggeber und
Produktionspartner für die oft recht betreuungs- und kostenintensiven
Netzprojekte hervor. Ihre bisherigen Erfahrungen zeigen, welche
Herausforderungen die neue Kunstform mit sich bringt.
Einer der Pioniere, Steve
Dietz vom Walker Art Center in Minneapolis, kaufte schon vor einigen Jahren das
"adaweb" und lässt es seitdem auf dem hauseigenen Server laufen. Das
"adaweb" ist eine von Benjamin Weil kuratierte, inzwischen
abgeschlossene Sammlung früher Online-Arbeiten. Daneben wird sukzessive ein
eigenes Sammlungskonzept entwickelt, für das Dietz gemäss etwa sechs bis zehn
Werke jährlich in Auftrag gegeben werden. Dietz hält es dabei für wesentlich,
das Diskussionsumfeld und die Entstehungsgeschichte von Netzkunst mit zu
konservieren, beispielsweise die Debatte in den Internetforen über das
Copyright, die einige Künstler zu einer Online-Arbeit anregte. "Mein
Hauptziel und -interesse ist, zumindest teilweise ein vielfältiges Umfeld samt
einer Infrastruktur zu schaffen, die Netzkunst fördert und all das, was
Künstler mit den Netzwerken anstellen."
"Adaweb"-Urheber
Benjamin Weil, wie Dietz inzwischen einer der einflussreichsten Kuratoren für
neue Medien, amtet in dieser Funktion seit kurzem am MoMA von San Francisco.
Auch Weil plädiert für Aufträge seitens der Institution und verfolgt damit das
Ziel, die Produktionsprozesse bei der Entstehung digitaler Kunst genauestens zu
dokumentieren. "Angesichts des rasanten technologischen Fortschritts
veralten alle Werke, die in digitalen Formaten erstellt werden, rasch."
Das Sammeln oder sinnvolle Archivieren von Netzkunst erfordere völlig neue
Vorgehensweisen. Als Auftraggeber könne man entsprechende Strategien in
Zusammenarbeit mit den Künstlern erproben. Dies werde, so Weil, auf jeden Fall
Auswirkungen auf die Funktion der Museen haben. Es ermögliche, mit neuen
Produktions- und Distributionsmodellen zu experimentieren.
Die genannten Museen
profilieren sich mit Produktionsprogrammen, die zu ihrer sonstigen
Sammlungspolitik passen. Dabei wird auch über geeignete Präsentationsformen von
nicht installativen Online-Projekten nachgedacht. Lynne Cooke etwa, Kuratorin
der New Yorker Dia Foundation, deren seit 1995 entstandene, kommentierte
Kollektion von Auftrags-Web-Arbeiten vorbildhaft ist, weist im Gespräch die
Vorstellung energisch von sich, nicht installative Web-Kunst auszustellen:
"Man studiert sie doch eher für sich zu Hause, liest sie wie ein
Buch." Auch der prononcierte Avantgardeanspruch der Web-Kunst ist Cooke
suspekt. Wie jedes neue Medium, wie zuvor schon Fotografie, Film und Video, sei
das Internet in erster Linie eine Herausforderung für die Künstler. Dabei gehe
es nie allein um den technologischen Aspekt. "Mich interessiert weniger
das Web als ein offenes Feld, sondern wie es auf die Tätigkeit der Künstler
zurückwirkt." Gespannt verfolgt Cooke derzeit, welche Strategien die
verschiedenen Kunstinstitutionen im Umgang mit Netzkunst einschlagen. Die Dia
Foundation lädt für ihr Produktionsprogramm immer wieder auch Künstler ein, die
keine Erfahrung mit dem Medium haben und daher, so Cooke, oft die
interessanteren Fragen stellen.
Neudefinition
der Museen
Gemäss Peter Weibel zwingt
neben der webweiten Abrufbarkeit gerade das Ausscheren der Netzkunst aus
herkömmlichen ökonomischen Rastern die Kunstinstitutionen zur Neudefinition
ihrer Rolle. "Netzkunst könnte überall gezeigt werden, deswegen ist der
Produktionsaspekt so wichtig, denn die Museen haben die Aufgabe, den
Netzkünstlern, die vorläufig nicht vom Verkauf ihrer Arbeit leben können,
Produktionsmittel und Stipendien zur Erarbeitung von Konzepten zur Verfügung zu
stellen." Webart werde im Zeitalter der Online-Museen sogar zu einem
wichtigen Wettbewerbsfaktor, mit dem ein Haus sein Profil schärfen könne.
Dass die europäischen Museen
ihren amerikanischen Pendants auf dem Gebiet der neuesten Medienkunst
hinterherhinken, sieht Weibel in einer tief verwurzelten europäischen
Technologiefeindlichkeit begründet, die auch aus den "unaufgearbeiteten
Tabus der europäischen Geschichte ableitbar" sei. "Das kollektive
Gedächtnis hat verdrängt, dass die faschistischen und nationalsozialistischen
Bewegungen in Europa dynamisch und technologiefreundlich waren. So herrscht
unbewusst noch immer der Konnex von totalitären Systemen und Technologie."
Weibel erinnert daran, dass "die wechselseitige Abhängigkeit von Moderne,
Technologie und Politik leider immer noch tabuisiert ist". Die digitale
Kunst rüttelt an solchen Tabus. Darin liegt vielleicht ihre grösste
Provokation.
Web-Adressen der erwähnten
Institutionen:
www.diacenter.org;
www.walkerart.
org; www.sfmoma.org;
www.zkm.de
ILLUSTRATION
Subversive Kräfte der
Netzkunst: Mark Napiers Web-Maschine (www.potatoland.org/shredder) zermalmt den
Internetauftritt des Zürcher Kunsthauses.
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Katalog der
Netzbedingungen
Kompendien zur Online-Kunst
sind bisher eher Mangelware; kein Wunder, denn die entsprechenden Diskussionen
finden häufig im Medium selber statt. Der Katalog zur Überblicksausstellung
"net-condition" Ende 1999 im ZKM schliesst nun diese Lücke. Der
Wälzer, der nur in Englisch vorliegt, bietet auf rund 400 Seiten kommentierte
Darstellungen der rund 100 vertretenen Werke aus Kunst, Musik, Film, daneben
auch Texte von international profilierten Ökonomen, Soziologen, Philosophen,
Kritikern. Trotz kunterbunter, nicht gerade lektürefreundlicher Grafik ein
guter Einstieg für alle, die über die kulturellen und gesellschaftlichen
Konsequenzen der neuen Informationsmedien nachdenken wollen.
(bas)
net-condition - art and
global media. Hrsg. von Peter Weibel und Timothy Druckrey. MIT Press, Cambridge
2001.