Art und Artisans

Florian Zeyfang   26.04.1999

Zu Fähigkeitsdebatten in Kunst und Internet

Da HTML-Layout vom Hobby zum Beruf wird, muß man sich ein Berufsbild schaffen, das die Tätigkeiten faßt, die vor dem Bildschirm stattfinden können und bei denen es sich in irgendeiner Weise um die Herstellung eines Produkts dreht. In den Debatten im und um das Internet gibt es eine, die sich den Begriff des Digital Artisan vorangestellt hat. Die Ideen dazu begegneten mir z.B. in Manchester durch einen Vortrag von Richard Barbrook bei einer Paralellveranstaltung zur ISEA 19981 .

Mir drängten sich da zwei Fragen auf: zum einen welche Tätigkeit dann zum Berufsbild KünstlerIn-im-Netz beiträgt und wie sich dieses dann zum programmatischen "Handwerker" verhält, zum anderen, etwas unvermittelter, die Diskussionen zum Berufsbild KünstlerIn überhaupt, wie sie in letzter Zeit z.B. im Umfeld des US-amerikanischen Magazins October geführt wurden. Dort generiert sich das Thema allerdings weniger aus dem Wunsch nach einer Zusammenfassung divergierender Disziplinen, sondern im Gegenteil aus dem Versuch, mit einer Einschränkung des Berufsbildes wieder etwas "Klarheit" ins Kunstprogramm zu bringen. Dazu wird immer wieder der Begriff "Skills" bemüht, also der Fähigkeiten, die einen Beruf, in diesem Fall den des/der KünstlerIn, auszeichnen und definieren.

Bei unterschiedlicher Zielsetzung bedienen sich beide, unabhängig voneinander in Kunst und Netz existierende Diskussionen eines handwerklichen Vokabulars. Ansonsten gibt man sich separatistisch: Die Kunsttheorie hat sich bislang in der Beurteilung von sogenannter Netzkunst weitestgehend zurückgehalten. Kritik wurde bis auf wenige Ausnahmen nur in Netzmagazinen geübt; die üblichen Kunstpublikationen reagierten fast nur auf documenta-sanktionierte Projekte - sicherlich auch Ausdruck einer gewissen Uninformiertheit und des Fehlens einer kritischen "Präselektion", auf die man sich beziehen könnte. Neuerdings gelangt nun doch einiges an die Kunstoberfläche. Es wird geschrieben und kritisiert, jedoch dabei vor allem die Distanz betont, als ob es sich bei Kunst im Netz um etwas ganz anderes handeln müsse, das außerdem so eindimensional ist, wie Computeroberflächen nun mal eingeschätzt werden. Diese Distanz wird allerdings auch von der Seite der NetzkünstlerInnen gerne betont. Doch die Annäherung ist nicht aufzuhalten und damit auch die Vergleiche der Praktiken. Aber nicht nur in der Wahl der Begriffe können Parallelen gezogen werden, nach denen die NetzkünstlerInnen und ihre Arbeitsweise stärker dem KünstlerInnenbild einer aktuellen Kunstkritik entsprechen, als diese es vermutet und vielleicht haben möchte.

Einzelstück oder Massenprodukt

Um eine Artisandebatte im Netz führen zu können, müssen natürlich erst die Grundlagen festgestellt werden: Aller Arbeit im und am Netz gemeinsam ist, so will es die Digital-Artisan-Theorie, ein Produkt, das ähnlich dem Handwerker-/Kunststück einzeln erstellt wird. Meist geschieht das in teilweise tagelanger Handarbeit und nur durch eine Person, die über das Wissen zur Durchführung dieser Arbeit von Anfang bis Ende verfügt oder diese Vorgänge sogar, teilweise oder ganz, selbst entwickelt hat. Meist handelt es sich bei den Arbeiten um das Erstellen von Software oder (HTML)Design. Erwähnt war schon Netzdesign und -layout. Es kann sich auch um Musik handeln; es gibt inzwischen Leute, die ihre "Geräusche" fast nur noch für Onlineradio produzieren, statt für Konzert oder Plattenfirma. Auch das Betreiben von Mailinglists und die Verwaltung von benutzeraktiven Websites wird dazugezählt, und allerlei anderes2 . Im nächsten Schritt wird das erstellte Stück dann mehr oder weniger multipel verteilt, oder besser: auch wenn es meist nur unter einer URL (oder Adresse) zu finden ist, steht es theoretisch endlos den Zugriffen zur Verfügung und wird auf X Computerbildschirmen X-mal neu "aufgebaut".

Das steht gegen das Bild von industrieller Arbeit. Für den industriell erzeugten Gegenstand sind viele Menschen notwendig, die jedes Stück am Fließband zwar gleich, aber immer wieder neu herstellen. In den industrialisierten Ländern hat sich die Arbeit auch durch die Vermehrung der Computerarbeitsplätze gewandelt. Das Verhältnis zur arbeitgebenden Instanz, zum Produkt, zur Verwaltung verändert sich, alles unter der Prämisse einer Individualisierung. Ein Nebeneffekt dieser Entwicklung ist, daß vieles an Arbeit gar nicht mehr als solche verstanden wird. Viele Layouter/ProgrammiererInnen in den Freelance-Pools der Internet- und Grafikfirmen machen ihre HTML-Seiten erstmal nebenbei, um sich ihr Leben und ihre eigenen Konzepte zu finanzieren, ihre Kunst und Videoprojekte. Nach einer Weile nimmt, aus ökonomischen Zwängen oder auch aus Trägheit, die Arbeit am Layout immer größeren Raum ein und die anderen Arbeitskonzepte werden eher durch Ausgleichsmodi wie Bungee Jumping und längerer Urlaub auf Kuba ersetzt. Aber für die Arbeit am HTML hat sich trotzdem noch kein wirklicher Arbeitsbegriff eingestellt. Man arbeitet eigentlich nicht - aber ist damit fast die ganze Zeit beschäftigt. Die Artisan-Idee könnte hier einen Ansatz bieten, indem sie diese Tätigkeiten als Arbeit benennt. Ein weiteres Ziel ist es ausgesprochenermaßen mit der Definition die Organisation zu ermöglichen, da die Industriegewerkschaften keine adäquate Repräsentanz für MedienarbeiterInnen zu bieten scheinen. Eine Ansicht, die auch von vielen anderen Medientätigen geteilt wird 3 .

Kunst als Ersatzidentität

Als Vorläufer für das neue Paradigma "selbstständiger" Arbeit wurde, von der Kritik und offensiver noch von den AnhängerInnen, auch schon mal die (bürgerliche) Vorstellung des/r unabhängigen KünstlerIn herangezogen. Die Werbebranche hat als erstes mit diesem Bild gearbeitet. Wie die Erzeugnisse der digitalen HandwerkerInnen werden auch Werbeproduktionen einmal erstellt und dann vielfach verteilt. Wieder treffen sich die beiden, nach den Werbung-ist-Kunst-Kampagnen der Achtziger; diesmal im Internet. Das findet seinen Ausdruck auch in den Strategien der Kunst, oft mit nachteiligen Auswirkungen auf die Ergebnisse: Zu oft wurden im Netz überaffirmierende Taktiken hervorgekramt, wie sie in den 70gern und den späten 80gern in der Kunst abgehandelt wurden. Man kann die fingierten Firmen, Zeitungen und Stadtseiten eher als Ironie wahrnehmen, deren Kritikpotential von der Wirklichkeit längst ad absurdum geführt worden ist und die nur mühsam karikieren, was dem Internet als Werbemedium per se eingeschrieben ist. Diese Ergebnisse wurden von der chronisch unterinformierten Kunstkritik zu recht nicht beachtet: Zu harmlos war der Umgang mit der technikaffirmierenden Entertainmentqualität des Internethypes, aber auch zu wenig entertainend waren viele der Ergebnisse.

Fast wie eine Bestätigung betonten NetzkünstlerInnen in den letzten Jahren im Internet und in Interviews seltsam einverständlich mit ihren KritikerInnen, sie wollten gar keine KünstlerInnen sein. Die Distanzierung von Kunst und privatem Kunstmarkt hatte für sie seit Jahren die Funktion, sich auf technische, innermediale und inhaltliche Aspekte beziehen zu können und dabei nur einen losen Bezug zur Kunstgeschichte zu halten, diese gleichermassen ignorierend und plündernd. Viel Halbinteressantes wurde außerdem mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten des auszuübenden Handwerks legitimiert.

Der Begriff des Handwerks hat auch in die Formulierungen Einzug gehalten, mit denen im Einflußbereich des US-amerikanischen Kunsttheoriemagazins October, aber auch im Kölner Texte zur Kunst, um die Definition des KünstlerInnentums gerungen wird. Die "Skills", die der/die KünstlerIn zu entwickeln habe, sollen in Zusammenhang mit einem von ihm zu erfindenden Medium stehen, welches ganz im Kunstkontext situiert ist. Solchermaßen könne der Kunst die Autonomie und Radikalität zurückgewonnen werden, die sie in den letzten Jahren verloren habe. Zielscheibe der Kritik dabei sind Entwicklungen des letzten Jahrzehnts: Ortsspezifische Kunst, Institutionskritik und Kontextkunst. Deren Verbindungen von Disziplinen wie Soziologie / Sozialkritik mit Kunst, oder in der Analyse von Kunst-als-Institution, sowie ihre Verquickung von Produktion, Kunstkritik und Kuratorium in der Praxis sollen Verflachung und selbst Institutionalisierung verursacht haben.4

Kunst im Internet entlehnt ihre Legitimationsmuster zum Teil den Kunstströmungen um Ortsspezifik, Institutions- und Kulkturkritik. Daher verwundert es nicht, daß viele der aktuellen Untersuchungen sich auf diesem Hintergrund einer Kritik, die von kontraproduktiven Verquickungen der Felder ausgeht, abspielt. Dabei arbeitet sich ironischerweise die Netzkunst ganz brav an ihrem Medium ab, unter Einsatz aller vorhandenen Skills: Heath Bunting beispielsweise hat mit seiner Internetseite, auf der in blassem Grau ein Text über sein Leben und Wirken steht, eine fast schon klassisch - steif anmutende Konzeptarbeit der Hyperlink-Ära erstellt: jedes Wort dieser Vita ist aktiviert, stellt also eine Verbindung zu einer anderen Netzseite dar, und zwar einer, der das selbe Wort als Bezeichnung dient: zum führt zu www.zum.org, Beispiel zu www.Beispiel.com - aber nur, wenn diese Seiten durch Zufall existieren, ansonsten ins Leere: Bunting hat keine Seite dafür neu eingerichtet. Seine Seite macht einen Kommentar zum Sprachgebrauch des Mediums, in dem sie wahrgenommen wird, und zu einem Kommentar der künstlerischen (Selbst)Stilisierung. Darüber führt sie allerdings, trotz aller Links, nicht hinaus.

Ob denn aber Netzkunst über die Bedeutung von Mailart hinauskommt, wird oft gefragt. Dabei bieten sich andere Vergleichsmöglichkeiten an, wie im Falle von Olia Lialinas "My Boyfriend Came Back From The War - After Dinner They Left Us Alone" [0]. Man folgt bei Lialina der Erzählung einer privaten Begegnung unter besonderen Voraussetzungen (der Titel spricht es an) in einfachen Texten und Bildern durch die aufpoppenden Frames, die dabei, sich multiplizierend, immer kleiner werden: Alles hat am Ende auf einer einzigen Seite stattgefunden. In der Abfolge von Bildern, der Narration, denkt man an La Jetée von Chris Marker, der mit seinen Standbildern den Film veränderte - das unerreichte Vorbild. Daß bei "My Friend..." die Entwicklung der Bildgeschichte durch Mausklick beeinflußt wird, also nonlinear sein soll, ist ein Medienspezifikum, fällt aber kaum auf. Dafür wird man an James Coleman erinnert, der sich für seine experimentellen Narrationen eines bereits von der Werbung entdeckten Mediums bedient, nämlich einer Serie von Diaprojektionen. Coleman ist auch Gegenstand eines Artikels, der als zentral für die Diskussion um den Medienbegriff á la October angesehen wird5 . Der Unterschied zum Netz, das so sehr von Werbung definiert wird, wäre, daß hier die Strategien, derer sich die Künstler und die Werber gemeinsam bedienen, zwangsweise noch nicht oder noch nicht lange wieder verworfen worden sind, wie das Anfang der 80er bei Colemans Diaprojektionen der Fall war. Das "Alter" eines Mediums spielt oft eine wichtige Rolle im Verhältnis zu seiner Anwendung im Kunstbereich.

Im Gegensatz zu Coleman wendet Lialina das Internet allerdings nicht als distinktives Medium an, das nur ihr zu eigen ist, oder das von ihr in einen Kunstzusammenhang überführt wird. Allerdings finde ich die Forderung nach einer Einzigartigkeit des Mediums eher abwegig. Bleibt der Unterschied und die Verschiebung innerhalb der Kontexte: Ob das Medium, das Werbefirmen genauso benutzen, in einen anderen Zusammenhang überführt wird, scheint eine Frage der Auffassung von "Umgebung" zu sein. Wer das Internet als ein homogenes Medium sieht und durch diesen Umstand einen solchen Vorgang verunmöglicht sieht6 , geht sicher auch davon aus, daß Kunst in anderen Medienumgebungen wie bspw. Fernsehen oder Kino nicht produktiv oder sogar unmöglich ist. Aber, ist Video nur Kunst im Kunstraum? Oder auch zuhause auf dem VCR, auf dem auch StarTrek läuft? Wenn man eher davon ausgeht, daß die inzwischen sehr allgemeine Entwicklung das Internet so weit ausdifferenziert hat, daß mindestens von der Bandbreite eines normalen "gesellschaftlichen" Mediums gesprochen werden kann, wird man auch innerhalb dieses Mediums genügend differenzieren können, um künstlerische Funktionen darin fest zu machen. Auf diese Fragen hat sicherlich die immer breitere Akzeptanz eine Auswirkung: Wie viele Haushalte besitzen denn nun einen Internet-Anschluß und wie, im Vergleich, sieht es mit der Verbreitung bei Videorecordern aus?

Und, wie erwähnt, der Film: in der Fortsetzung obiger Erwägungen bietet sich ein kompletter kunst - und filmgeschichtlicher Strang an, wenn man an die Filme und Videos von Charles Dekeukeleires, des frühen Peter Greenaway, von Peter Rose oder auch Michael Snow7 denkt, die mit den schnellen Wechseln von kurzen Filmsequenzen zu Text, oder eben nur mit Text, gearbeitet haben (Auch diese Beispiele ständen selbstverständlich nur für einen Strang möglicher Entwicklungen im Netz). Diese Filmemmacher haben schon 1930 an der Transformation ihres Mediums gearbeitet, und da liegt natürlich die Frage nahe, wie sehr man das Internet transformieren kann, wenn es denn selbst noch so gar nicht Form sein sollte? Alle diese Strategien unterscheiden sich natürlich insofern von der Praxis im Internet, als die BetrachterIn bei Film und Projektionen keinen Einfluß auf den Ablauf, die Geschwindigkeit, die Reihenfolge hat. Die Frage nach der "Interaktivität" und andere technische Aspekte werden sich noch eine Weile in den Vordergrund drängen, weswegen Lialina betont: "This work is more about love and loneliness than about technology"8 . Vielleicht wird ja die Theoretisierung des Standbildes, die Roland Barthes9 fordert, neu beleuchtet werden... .

Es sind nicht Probleme der Abgrenzung von Kunst und deren Überschreitung, die zu der Gründung von Lialina´s Online-Galerie [1] führten, sondern eher der Wunsch nach finanzieller Anerkennung von net.art. Unwahrscheinlich, daß es die erste Galerie im Netz ist, aber die erste mit einem Konzept, das ausschließlich Netzkunst und zwar die einer bestimmten "Richtung"10 handeln will. Buntings oben beschriebenes Frühwerk geht angeblich für ein paar tausend Dollar über den Tisch, aber wie genau die Eigentumsrechte sich gestalten, darüber ist nicht viel zu erfahren.

Abkehr von der Geschenkökonomie

Die Galerie stellt eine höchst symbolische Abkehr von der im Netz so wichtigen "Geschenkökonomie" dar. Noch scheint die Aktivengemeinde unterschiedlicher Meinung zu diesem Thema zu sein. Daß eigentlich jeder Teilnehmer immer mehr aus dem Netz nimmt als er hineingeben kann, daß man für jedes RealAudioFile 100 Samples zur Verfügung gestellt bekommt, daß ganze Betriebssysteme in Kollaboration entstehen, wurde immer als das Prinzip, als treibende Kraft des Netzes angenommen. Dieses Prinzip verursachte manchmal auch ein gewisses Gefühl des Zwangs zum Mitaufbau der "neuen Gesellschaft", stille Konsumer wurden zu aktiverer Teilnahme aufgefordert und ähnliches... . Die Firmen dieser neuen Gesellschaft haben sich die Geschenkökonomie inzwischen auch zu eigen gemacht und verkünden offen, daß nur, wer seine Angebote verschenkt, am Ende mit der Resonanz rechnen kann, die dann die Werbeaufträge bringt. Wenn das Öffentliche und die Freiwilligkeit derart ökonomisiert werden, kann der Vorstoß zur Galerie und andere Versuche der Privatisierung als Gegenreaktion verstanden werden. Die (Selbst)Kommerzialisierung wird dann zu einer Art Provokation und Abgrenzung. Diese Manifestation einer "Avantgarde" äußerte sich in der Kunstwelt "draußen" in den letzten Jahren auch immer lauter, nicht zuletzt als Nebeneffekt der oben angesprochenen Debatten. Aber der Provokationsaspekt erschöpft sich dann doch irgendwann.

An irgendeinem Ort kämpft das Internet immer um Akzeptanz. Deswegen wird mit den Auswirkungen argumentiert: wieviele Stunden das Zapatista Floodnet eine Regierungsseite lahmlegen konnte, oder daß die Übernahme der CI einer bestimmten Firma der Künstlerin Rachel Baker [2] tatsächlich irgendwann Ärger eingebracht hat (nachdem sich die Firma mit ungewollten Kommentaren konfrontiert sah). Nicht nur im Wunsch nach ökonomischer Anerkennung äußert sich der Verdinglichungseffekt der Galerie, bzw. der Entwicklung, für die sie steht. Mag sein, daß der Wunsch nach definierteren Dingen, oder nach der Definition der Produkte als Dinge im Internet mit der Angst vor einer generellen Entstofflichung der Materien und Debatten zu tun hat, also konträr zur ursprünglichen Euphorie der Entkörperlichung verläuft. Mag auch sein, daß der Neoliberalismus und gleichzeitig die Abstraktion des globalisierten Handels diesen Bedarf gefördert hat, nicht nur im Internet.

Die Autoren des Artisan Manifests beziehen sich jedenfalls ganz konkret darauf. Allerdings mutet ihre, vielleicht ironische, Überhöhung des Werts der Selbstverwirklichung in der Produktion von schönen Dingen, als dem Gegensatz zu der im Neoliberalismus ausschließlichen Möglichkeit, Handel zu treiben, etwas seltsam an11 , wie eine Karikatur des bürgerlichen Künstler-ideals und Produktionsethos. Das Modell Artisan im Netz ist ebenfalls aus dem Wiedererstarken der Objektorientierung entstanden, der Rückkehr ins Land der Dinge, auch wenn die Dinge "nur" digital sind. Nach den Texten, die sich Gedanken um ihre Produkthaftigkeit machten, sind die HTML-Seiten, die auch nur Text sind, die Werbefotos und die Avatare, oder besser ihre ErstellerInnen, voll des Wunsches, daß sie auch Dinge seien: im realen Leben und in der realen Kunst. Dabei dominiert wieder die individualistische HerstellerInnenrolle. Man kann sich schwer der Attraktion entziehen, selbst wenn einem der Verstand sagt, daß man damit auch gerade eine Funktion der Ideologien des freien Welthandels dar - und herstellen könnte. Das Handwerkermodell scheint die Funktion übernehmen zu können, die Nachteile auszugleichen, ohne die Vorteile zu rauben. Es sagt: Hey Nerd, darfst weiter allein vor deinem 20-Zöller hocken, oder vor deinem Objekt. Hauptsache, es kommen wilde Sachen dabei raus.

Literaturangaben

1) Revolting, vom 15.8.98 bis 19.9.98 im DADI Building, Manchester - eine Parallelveranstaltung zur ISEA (Intern.Symposium of Electronic Arts / Manchester - Liverpool 1998.

2) Interessant wäre zu erfahren, ob die Konzepter und Layouter der Pornoseiten, die inzwischen wohl die Mehrzahl der WWW-Angebote ausmachen, auch gern gesehene Handwerker im Kreis der Artisanen wären

3) eine kurze, unrepräsentative Umfrage im medialen und künstlerischen Teil meines Bekanntenkreises fiel zwar schlimm aus für die Gewerkschaften, nach allem was ich weiß, ist die Lage aber sicher noch katastrophaler. Den 24 Unorganisierten standen 4 unzufriedene Gewerkschaftsmitglieder gegenüber, wobei 2,3 sich Interessens- und Verwertungsgesellschaften angeschlossen hatten, wie der VG Wort und der VG Bild, oder bspw. einer HistorikerInnenvereinigung. Argumentiert wurde (auch) hier mit Unflexibilität, Trägheit und dem Eindruck, von der Politik der G. in keinster Weise betroffen oder davon eingeschlossen zu sein. Das Arbeitsbild der G. entspräche nicht dem eigenen. Die wenigen Positiva schlossen Mitleidsargumente mit ein: ohne Mitglieder gäbs ja keine G. mehr. Sonst zählten Presseausweis und Krankentagegeld (nur Schweiz!). Als mögliche positive Alternative wurden "Netzwerke" (sic!) genannt, denen mehr Effizienz zugetraut wurde. Also doch Gilden

4) Zu dieser Problematik ist in den genannten Magazinen, aber auch andernorts, bereits so viel publiziert worden, daß ich es hier bei einer, allerdings problematisch verkürzten, Zusammenfassung belasse.

5) Rosalind Krauss, "... Und wendet euch dann ab?", in: James Coleman, Katalog Wiener Secession

6) So schreibt bspw. Isabelle Graw, dass in der Internetkunst "Leistungen der Kunst wie ihre doppelte Markierung durch künstlerische Autonomie und gesellschaftliche Verfaßtheit"aufgegeben würden, weil durch den bereits mitgelieferten Kontext die Bestimmung von "künstlerisch vermittelten Übergängen, Grenzen und Verschiebungen" nicht mehr möglich sei. I.Graw, Man sieht was man sieht, Texte zur Kunst 32/98. Eine Kritik dieses Textes von Graw verfasste Tilman Baumgärtel: Das Imperium schlägt zurück! [3], "Texte zur Kunst" beschäftigt sich nun auch mit Netzkunst, Tilman Baumgärtel 20.01.99

7) Z.B. Histoire de détective, Charles Dekeukeleires, B 1930 - Dear Phone, Peter Greenaway, GB 1976 - Secondary Currence, Peter Rose, GB 1983 - So Is This, Michael Snow, Can 1982

8) Im Interview mit T. Baumgärtel [4]

9) Roland Barthes, "The Third Meaning", in Image/Music/Text, New York 1977, zit. in R.Krauss, a.a.o.

10) Hier: den Arbeiten der KünstlerInnen, die sich unter dem Begriff net.art zusammengefunden haben

11) "Under neo-liberalism, individuals are only allowed to exercise their own autonomy in deal-making rather than through making things. We cannot express ourselves directly by constructing useful and beautiful virtual artifacts." Digital Artisan Manifesto Abs.8 [5] klick "theory", klick "manifesto".

Links

[0] http://www.heise.de/tp/deutsch/kunst/nk/3040/1.html
[1] http://www.teleportacia.org
[2] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6167/1.html
[3] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3324/1.html
[4] http://www.heise.de/tp/deutsch/special/ku/6146/1.html


Copyright © 1996-2000 All Rights Reserved. Alle Rechte vorbehalten
Verlag Heinz Heise, Hannover