|
1. Text als Bild
Die zunehmende
Visualisierung der Kommunikation und Wahrnehmung ist seit langem ein
beklagtes Phänomen unserer Gesellschaft. Als Neil Postman 1985
dem Fensehen eine unhintergehbare Grammatik der Zerstreuung
unterstellte, war er damit schon nicht mehr der erste. Vor ihm hatte Günther
Anders 1956 dem Medium der Bilder schlechte Noten ausgestellt und
wiederum einige Jahrzehnte zuvor war es das Kino, dem man die Unterstützung
der Zerstreuung bis hin zum Verderben der Sitten nachsagte. Die
Bilderflut ist eine alte Gefahr, und immer wird sie diskutiert im
Zusammenhang mit Zerstreuung, Amüsement oder Spektakel. Jochen
Schulte-Sasse spricht 1988 in diesem Zusammenhang von einer "Dramaturgie
des Spektakels", die "kaum noch der Sprache [vertraut], um
ihre Ziele zu erreichen." Die digitalen Medien erschienen
da zunächst als Sachverwalter des Wortes und führten mit
ihren grünen Zeichen auf schwarzem Grund zu einer regelrechten
Renaissance des Entzifferns. Bekanntlich ist der Computer, trotz
seiner abstrakten mathematischen Grundlage, diesem Text-Spartanismus längst
entwachsen. Das Interface ist inzwischen handhabbar für jeden
halbwegs pfiffigen Analphabeten, Websites ohne Images werden zur
Seltenheit und sind schon als Zeichen des Widerstandes zu verstehen
und mit der Flash-Technologie scheinen denn auch die digitalen Medien
endgültig beim Spektakel angekommen zu sein. Die einst die neuen
Techniken priesen, äußern sich nun ähnlich besorgt wie
vormals Anders und Postman. So spricht Robert Coover, 1992 Prophet der
Hyperfiction in der New York Times Book Review, Anfang 2000 vom "constant
threat of hypermedia: to suck the substance out of a work of lettered
art, reduce it to surface spectacle." (1) Die Art der Präsentation
dieser Warnungen zeigt schon [die Effekte folgen auf den Klick, wenn
immer sich an der Cursorspitze ein Kreis bildet, es sind mehr, als man
zunächst annimmt: wer das hartnäckige Fragezeichen gesehen
hat, hat alles gesehn], dass es eine Visualisierung vor dem Bild gibt,
in der der Bedeutung des Textes durch die Art und Weise seiner Präsentation
überlagert wird. Die Buchstaben erobern sich als materielle
Zeichen den Raum, sie haben ihren Auftritt nicht mehr nur vor dem
inneren Auge des Lesers, sie wollen vielmehr tatsächlich gesehen
werden und verlören in der akustischen Realisierung mehr als ihre
Schriftlichkeit. Dass es sich dabei nicht allein um die Übertragung
der konkreten Poesie ins Reich des Digitalen handelt, liegt auf der
Hand angesichts der Faktoren Zeit und Interaktion, die im vorliegenden
Fall zusätzlich eine Rolle spielen. Dass diese
Visualisierung von Text eine über den Effekt seines Erscheinens
hinausgehende Bedeutung haben kann, wird wohl ebenfalls einsichtig,
wenn man sich nur den obersten Satz hernimmt, der auf der Verdrängung
eines Teils des Anfangssatzes beruht. Nicht, dass dieses Verfahren im
vorliegenden Fall in besonders avancierter Weise semantisiert worden wäre.
Aber man kann sich wohl leicht vorstellen, was aus diesen "Teleskopsätzen"
mit dem entsprechenden Talent nicht nur im Technischen zu machen ist.
Und wenn Urs Schreiber im hier zugrundeliegenden Projekt "Epos
der Maschine" an späterer Stelle einen längeren
Text durch das Verschwinden einzelner Wörter so verjüngen lässt,
dass sich plötzlich auch die Bedeutung der stehengebliebenen
Zeichen völlig ändert, ist dies einerseits ein Spiel,
vergleichbar der barocken Kombinationslyrik, andererseits auch eine
neue Aussage, die erst vor dem Hintergrund der zurückgenommenen
ihre Bedeutung erhält. Auch das Spektakel, so ist an dieser
Stelle schon einmal festzuhalten, muss entziffert werden.(2) Kommen
wir zur Visualisierung mit Bildern.
next
page
|
|