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2. Bild als Text
Eine Betrachtung der
Wort-Bild-Beziehungen muss zunächst drei Ebenen unterscheiden:
Die Anwesenheit des Bildes im Wort als bildlicher Sinnenschein
des Gesagten. Die Wechselbeziehung im Sinne des Austausches von
Stoffen und Formen, wie etwa in den auf mythologischen Texten
beruhenden Gemälden der Renaissance. Die Vereinigung von Wort und
Bild im einzelnen Artefakt, wie etwa im Emblem, in der
Bildergeschichte oder im illustrierten Buch.(3) Die dritte
Variante, die einzig hier weiter interessieren soll, lässt sich
wiederum dreifach perspektivieren. Auf der Ebene der äußeren
Faktur sind Anteil und Verbindung von Wort und Bild zu diskutieren.
Hierbei kann die verbale Äußerung in die ikonische
eingebettet sein, wie beim Comic-Strip, (4) oder das Bild ist
umgekehrt in den Text eingebettet, wie bei der Emblematik oder der
Verwendung von Text als Bildtitel. In diesem Falle befindet sich die
Sprechinstanz außerhalb des Bildes, dominiert die Textsemantik über
die Bildsemantik und übernimmt die bedeutungsstrukturierende
Funktion.(5) Auf der Ebene des Inhalts ist zu fragen, welches
Medium die Vorlage gab, welches edium dem Rezipienten als Leitfaden
dient und wie aus der Verbindung von Wort und Bild ein inhaltliches
Ganzes erwächst. Im Hinblick auf den inhaltlichen Zusammenhang können
Wort und Bild a) denselben Stoff jeweils mit ihren eigenen itteln
wiedergeben (Bilderbibel des MA), b) sich einander wechselseitig
kommentieren und auslegen, c) sich in den Stoff teilen
(Bildergeschichte Wilhelm Buschs). (vgl. Willems) Auf der Ebene
der inneren Faktur ist die "Gestaltung des Bilds mit Rücksicht
auf das benachbarte Wort und die des Worts mit Rücksicht auf das
benachbarte Bild" zu erörtern. So z.B. die Entlastung des
Wortes vom anschaulichen Reden angesichts der im Bild gegebenen
Anschauung, die Entlastung des Bildes von der Entfaltung der
Bedeutungszusammenhänge oder die Verstärkung der
Bedeutungsstrukturen des Bildes, um die Anknüpfungspunkte des
Wortes zu erhöhen. (Willems, 420f.) Die
Analyseperspektiven, die hiermit angerissen sind, finden freilich auch
im Hinblick auf die Wort-Bild-Beziehung in den digitalen Medien
Anwendung. Allerdings fügt die Digitalisierung der Wörter
und Bilder dem Komplex weitere Aspekte hinzu. Um diese geht es mir in
meinem Vortrag. Wir haben gesehen, wie die Transformation des Wortes
in ein Bild sich in diesen Medien gegenüber den Printmedien
unterscheiden kann. Das nächste Beispiel führt vor Augen,
welch grundsätzlich neue Eigenschaften das Bild im Zeichen seiner
Digitalität annimmt.
Was
das vorliegende Bild von Leslie Huppert von herkömmlichen
Bildern unterscheidet, ist die Veränderung seiner Farbe. Es
besteht aus verschiedenen Fassungen, die einander folgen, und
erinnert damit an Andy Warhols serielles arylin Monroe-Porträt.
Aber während man dort, so wie einst bei der seriellen Malerei
und der seriellen Fotografie, von links nach rechts und von oben
nach unten 'liest', tritt hier ein Bild an die Stelle des anderen.
Statt den Blick bewegen zu müssen, wird das Bild bewegt. Dies
geschieht allerdings anders als beim Film, wo bekanntlich das eine
Bild das andere zur Seite schiebt, und zwar mit einer solchen
Geschwindigkeit, dass der stroboskopische Effekt entsteht, der die
Momentaufnahmen zäsurlos als eine durchgängige Bewegung
wahrnehmen lässt. |
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> Im vorliegenden Fall
des digitalen Bildes gibt es dieses analoge, fürs menschliche
Auge unsichtbare Zur-Seite-Schieben nicht, sondern einen Austausch,
der im Zeichen der Digitalität faktisch nur den Zustand Bild 1
und Bild 1+n kennt. Bemerkenswert ist dabei, dass nicht mehr das
materielle Medium bewegt wird, sondern das Dargestellte, nicht
Zelluloid, das die Abbildung trägt, sondern gleich die Abbildung
selbst: Ausgetauscht werden die Pixel, die die Abbildung sind.
Im vorliegenden Fall wurden
übrigens 1000 Loops programmiert. Da jeder Durchlauf nur zwei
Dateien umfasst, die sich mit einer Geschwindigkeit von 30/100
Sekunden ablösen, benötigt jeder Loop nur 60/100 Sekunden,
womit die Bewegung nach 600,6 Sekunden mit Datei B endet. Nach etwa 10
Minuten sehen wir nur noch Bild B, das dann wie ein normales Bild
aussieht, vergleichbar einem der Monroe Bilder aus Warholls Serie.
Aber so wie jene Serie als Summe ihrer Teile ein Werk darstellt, das
seinen Sinn erst in dieser Serialität erhält, so müssen
wir auch im vorliegenden Fall jene anderen Bilder mitzählen, die
nun nicht mehr zu sehen sind. Wieviele waren es gleich wieder? 1?
2001? Ich plädiere für die höhere Zahl, insofern nicht
nur die Wiederholung des Ähnlichen eine Aussage ist, sondern auch
die des Identischen, die hier freilich keine Wiederholung des Gleichen
ist, sondern eine des Selben. Das Bild hat, so ist festzuhalten, eine
Vergangenheit, die, vor Ablauf der 1000 Loops, einmal seine Zukunft
war. Worauf will diese Überlegung hinaus? Das Bild, das wir
sehen, ist eine Bilddatei, die im Quellcode als solche kenntlich wird.
Diese Datei besteht selbst wiederum aus zwei Bilddateien, die im
Quellcode nicht sichtbar werden, die sich aber extrahieren lassen,
wenn man die Mutterdatei in ein Animationsprogramm lädt, mit dem
sie zuvor aus den beiden Dateien erstellt wurde. Auf diese Weise
konnte ich Bild A von Bild B trennen und Ihnen als Stills präsentieren.
Was dabei verlorging, ist ihr Verhältnis zueinander, das sich auf
der Ebene der Befehlsdaten in 30/100 Sekunden und 1000 Loops ausdrückt
und das auf der sinnlich wahrnehmbaren Ebene gewissermaßen die
serielle Malerei und Fotografie aus dem Raum in die Zeit umsiedeln lässt.
Diese Befehlsdaten sind die Tiefeninformationen, die zu einem
digitalen Bild gehören. Sie bestimmen sein Verhalten, sie
schaffen Änderung in der Zeit und geben dem Bild damit einen
narrativen Charakter. Das gewichtet zum einen die Funktion des
Bildes innerhalb einer wie auch immer gestalteten Text-Bild-Allianz.
Das führt zum anderen zur Frage, wie ein solches Bild dann
strukturell noch vom Film zu unterscheiden ist. Bevor wir solche
Fragen der Begriffsbestimmung und -abgrenzung gemeinsam diskutieren,
will ich auf eine zweite Form der Tiefeninformation aufmerksam zu
machen. Was wir hier (nach dem etwas aufwendigen Ladeprozess) sehen,
gibt sich leicht als Produkt einer Fotomontage zu erkennen. Es bleibe
dahingestellt, ob diese
Montage
von Leslie Huppert völlig auf digitalem Wege entstanden
ist, oder ob sie analog vorlag und dann mittels Scanner ins digitale
Medium überführt wurde. Dass es sich nicht um ein Abbild mit
Referenz in der Wirklichkeit handelt, ist so oder so unumstritten.
Entscheidend und strittig ist wieder die Frage, inwiefern es sich hier
noch um ein Bild handelt. Da in diesem Fall keinerlei Veränderung
der Szenerie vor sich geht, ist man zu einer schnellen Antwort
versucht. Dies ändert sich, wenn der Reload-Befehl zeigt (was man
schon beim Ladeprozess bemerkt haben mag), dass hier ein Bild im Bild
vorliegt. Genaugenommen liegen sogar Bilder in Bildern vor, denn zum
einen setzt sich das Bild im Bild aus 4 Bilddateien zusammen, zum
anderen wurde der HTML-Seite ein Bild als Background zugeordnet, das
automatisch so oft geladen und nebeneinander plaziert wird, bis der
gesamte Bildschirm damit bedeckt ist. Und wie beim Tapetenkleben ist
es so, dass sich bei professioneller Arbeit am Ende die Bahnen nicht
mehr ausmachen lassen. Wie viele Bahnen geklebt werden müssen,
liegt natürlich an der Größe der Wand: Und da ist der
12" Monitor meines Laptops freilich schneller gefüllt als
der 20-Zoller einer Multimedia-Agentur. Insofern gibt es eine
Tiefeninformation, die im Computer des Betrachters liegt. Aber
um diese geht es mir gar nicht. Ich will hier auf jene
Tiefeninformation verweisen, die im Vergleich zur vorher behandelten
geradezu an der Oberfläche liegt. Wir müssen uns nämlich
nur den Quellcode anzeigen lassen, um zu sehen, dass 1. das
vorliegende Bild aus mehreren Bildern besteht und 2. das eigentliche
Bild mit Kind und Elefantenbeinen in ein Netz von weiteren
Befehlsdaten gestellt wurde. Die Schlüsselwörter, die für
viele freilich nur kryptische Zeichen sein werden, lauten
permanentpic, randomfx oder randomaudio. Was dies konkret heisst,
erkunden wir am besten auf der sinnlichen Ebene. Sobald ich
dieses Terrain des Innenbildes mit dem Cursor betrete, erscheint ein
weiteres Image verbunden mit Sound. Das Bild lässt ein anderes
Bild auftreten und Geräusche erklingen. Wie der wiederholte
Versuch zeigt, lässt es an der immer gleichen Stelle immer andere
Bilder und Töne erscheinen. Dies ist die Folge jener Wörter
randomfx oder randomaudio, die dafür sorgen, dass auf den
Mouse-Kontakt hin aus den zur Auswahl gestellten 4 Image- und 3
Audio-Dateien jeweils eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählt
wird. Die weitere Erkundung zeigt, dass das Bild in 4 Zonen
aufgeteilt ist, die jeweils bei Mouse-Kontakt eine Bild- und eine
Sounddatei aktivieren. Das anfangs recht überschaubare Bild
erweist sich als "ein riesiges labyrinth der subjektiven
beziehungsebenen eines menschen". Dieses Labyrint liegt
allerdings nicht schon am Anfang der Rezeption vor, es ergibt sich
erst im Prozess der Rezeption. Und zwar anders als beim Film erst in
Folge der Erkundung durch den Leser. Der Rezeptionsprozess, darauf
kommt es an, bestimmt die Präsentation. Anders gesagt: Das Bild
wird erst im Prozess seiner Rezeption fertiggestellt. Dieses
Prinzip der "verteilten Autorschaft" ist vom Hypertext her
bekannt, und Christiane Heibach hat die verschiedenen Formen dieser
kooperativen Ästhetik in ihrer
Dissertation
ausführlich beleuchtet. Die Gefahr des Hypertextes liegt
bekanntlich darin, dass der Autor die Navigationsweise des Lesers
nicht voraussehen und damit nur begrenzt Aussageintentionen im Text
manifestieren kann. Das führt in der Konsequenz zu einer
Akzentuierung nicht der Botschaft, sondern der Interaktion und
arbeitet im Grunde der Ästhetik des Spektakels zu. Die
Interaktion kann freilich auch streng kalkuliert werden, womit der
Autor die Kontrolle behält und der Leser zum 'Executer' einer
angelegten Manifestation wird. Dies ist im vorliegenden Beispiel der
Fall. Zwar basiert die Execution auf einem doppelten Zufall: nämlich
der ouse-Bewegung des Lesers und des programmierten Zufallsprinzips
der ouseover-Events. Trotzdem ist das Ergebnis der Interaktion durch
den Autor voraussagbar. Denn es kommt nicht auf die Reihenfolge der
erscheinenden Bild- und Tondateien an, sondern auf das Stimmengewirr,
das aus der quasi parallelen Abspielbarkeit der Tondateien entsteht
und dessen Bedeutung sich im vorliegenden Kontext der
Kindheitserinnerung leicht erschließt. Indem der User
dieses Wirrwar an Aussagen und Ansprüchen durch die ausbewegung
nun selbst erstellt, gerät er in ein ambivalentes Rollenspiel.
Als Betrachter der Szenerie tendiert er einserseits, sich mit dem Kind
zu identifizieren und dessen Perspektive auf die Außenwelt
einzunehmen. Als Executer ist er andererseits zugleich diese Außenwelt,
die dem Kind gegenübertritt. Diese zweite Rolle lässt sich
in dieser Form weder im analogen Bild vermitteln, weil dieses keine
Entwicklung kennt, noch im Film, weil dieser nicht auf Interaktion
beruht.
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