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Der versteckte Text: Aspekte digitaler Bilder

von Roberto Simanowski

 

2. Bild als Text

Eine Betrachtung der Wort-Bild-Beziehungen muss zunächst drei Ebenen unterscheiden:
Die Anwesenheit des Bildes im Wort als bildlicher Sinnenschein des Gesagten. Die Wechselbeziehung im Sinne des Austausches von Stoffen und Formen, wie etwa in den auf mythologischen Texten beruhenden Gemälden der Renaissance. Die Vereinigung von Wort und Bild im einzelnen Artefakt, wie etwa im Emblem, in der Bildergeschichte oder im illustrierten Buch.(3)
Die dritte Variante, die einzig hier weiter interessieren soll, lässt sich wiederum dreifach perspektivieren.
Auf der Ebene der äußeren Faktur sind Anteil und Verbindung von Wort und Bild zu diskutieren. Hierbei kann die verbale Äußerung in die ikonische eingebettet sein, wie beim Comic-Strip, (4) oder das Bild ist umgekehrt in den Text eingebettet, wie bei der Emblematik oder der Verwendung von Text als Bildtitel. In diesem Falle befindet sich die Sprechinstanz außerhalb des Bildes, dominiert die Textsemantik über die Bildsemantik und übernimmt die bedeutungsstrukturierende Funktion.(5)
Auf der Ebene des Inhalts ist zu fragen, welches Medium die Vorlage gab, welches edium dem Rezipienten als Leitfaden dient und wie aus der Verbindung von Wort und Bild ein inhaltliches Ganzes erwächst. Im Hinblick auf den inhaltlichen Zusammenhang können Wort und Bild a) denselben Stoff jeweils mit ihren eigenen itteln wiedergeben (Bilderbibel des MA), b) sich einander wechselseitig kommentieren und auslegen, c) sich in den Stoff teilen (Bildergeschichte Wilhelm Buschs). (vgl. Willems)
Auf der Ebene der inneren Faktur ist die "Gestaltung des Bilds mit Rücksicht auf das benachbarte Wort und die des Worts mit Rücksicht auf das benachbarte Bild" zu erörtern. So z.B. die Entlastung des Wortes vom anschaulichen Reden angesichts der im Bild gegebenen Anschauung, die Entlastung des Bildes von der Entfaltung der Bedeutungszusammenhänge oder die Verstärkung der Bedeutungsstrukturen des Bildes, um die Anknüpfungspunkte des Wortes zu erhöhen. (Willems, 420f.)
Die Analyseperspektiven, die hiermit angerissen sind, finden freilich auch im Hinblick auf die Wort-Bild-Beziehung in den digitalen Medien Anwendung. Allerdings fügt die Digitalisierung der Wörter und Bilder dem Komplex weitere Aspekte hinzu. Um diese geht es mir in meinem Vortrag. Wir haben gesehen, wie die Transformation des Wortes in ein Bild sich in diesen Medien gegenüber den Printmedien unterscheiden kann. Das nächste Beispiel führt vor Augen, welch grundsätzlich neue Eigenschaften das Bild im Zeichen seiner Digitalität annimmt.

Was das vorliegende Bild von Leslie Huppert von herkömmlichen Bildern unterscheidet, ist die Veränderung seiner Farbe. Es besteht aus verschiedenen Fassungen, die einander folgen, und erinnert damit an Andy Warhols serielles arylin Monroe-Porträt. Aber während man dort, so wie einst bei der seriellen Malerei und der seriellen Fotografie, von links nach rechts und von oben nach unten 'liest', tritt hier ein Bild an die Stelle des anderen. Statt den Blick bewegen zu müssen, wird das Bild bewegt. Dies geschieht allerdings anders als beim Film, wo bekanntlich das eine Bild das andere zur Seite schiebt, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, dass der stroboskopische Effekt entsteht, der die Momentaufnahmen zäsurlos als eine durchgängige Bewegung wahrnehmen lässt. Lesliex_rs1.gif

> Im vorliegenden Fall des digitalen Bildes gibt es dieses analoge, fürs menschliche Auge unsichtbare Zur-Seite-Schieben nicht, sondern einen Austausch, der im Zeichen der Digitalität faktisch nur den Zustand Bild 1 und Bild 1+n kennt. Bemerkenswert ist dabei, dass nicht mehr das materielle Medium bewegt wird, sondern das Dargestellte, nicht Zelluloid, das die Abbildung trägt, sondern gleich die Abbildung selbst: Ausgetauscht werden die Pixel, die die Abbildung sind.

Lesliex-Bild-A-TN.gif (6238 bytes)

Lesliex-Bild-B-TN.gif (5697 bytes)

Im vorliegenden Fall wurden übrigens 1000 Loops programmiert. Da jeder Durchlauf nur zwei Dateien umfasst, die sich mit einer Geschwindigkeit von 30/100 Sekunden ablösen, benötigt jeder Loop nur 60/100 Sekunden, womit die Bewegung nach 600,6 Sekunden mit Datei B endet. Nach etwa 10 Minuten sehen wir nur noch Bild B, das dann wie ein normales Bild aussieht, vergleichbar einem der Monroe Bilder aus Warholls Serie. Aber so wie jene Serie als Summe ihrer Teile ein Werk darstellt, das seinen Sinn erst in dieser Serialität erhält, so müssen wir auch im vorliegenden Fall jene anderen Bilder mitzählen, die nun nicht mehr zu sehen sind. Wieviele waren es gleich wieder? 1? 2001? Ich plädiere für die höhere Zahl, insofern nicht nur die Wiederholung des Ähnlichen eine Aussage ist, sondern auch die des Identischen, die hier freilich keine Wiederholung des Gleichen ist, sondern eine des Selben. Das Bild hat, so ist festzuhalten, eine Vergangenheit, die, vor Ablauf der 1000 Loops, einmal seine Zukunft war.
Worauf will diese Überlegung hinaus? Das Bild, das wir sehen, ist eine Bilddatei, die im Quellcode als solche kenntlich wird. Diese Datei besteht selbst wiederum aus zwei Bilddateien, die im Quellcode nicht sichtbar werden, die sich aber extrahieren lassen, wenn man die Mutterdatei in ein Animationsprogramm lädt, mit dem sie zuvor aus den beiden Dateien erstellt wurde. Auf diese Weise konnte ich Bild A von Bild B trennen und Ihnen als Stills präsentieren. Was dabei verlorging, ist ihr Verhältnis zueinander, das sich auf der Ebene der Befehlsdaten in 30/100 Sekunden und 1000 Loops ausdrückt und das auf der sinnlich wahrnehmbaren Ebene gewissermaßen die serielle Malerei und Fotografie aus dem Raum in die Zeit umsiedeln lässt. Diese Befehlsdaten sind die Tiefeninformationen, die zu einem digitalen Bild gehören. Sie bestimmen sein Verhalten, sie schaffen Änderung in der Zeit und geben dem Bild damit einen narrativen Charakter.
Das gewichtet zum einen die Funktion des Bildes innerhalb einer wie auch immer gestalteten Text-Bild-Allianz. Das führt zum anderen zur Frage, wie ein solches Bild dann strukturell noch vom Film zu unterscheiden ist. Bevor wir solche Fragen der Begriffsbestimmung und -abgrenzung gemeinsam diskutieren, will ich auf eine zweite Form der Tiefeninformation aufmerksam zu machen. Was wir hier (nach dem etwas aufwendigen Ladeprozess) sehen, gibt sich leicht als Produkt einer Fotomontage zu erkennen. Es bleibe dahingestellt, ob diese Montage von Leslie Huppert völlig auf digitalem Wege entstanden ist, oder ob sie analog vorlag und dann mittels Scanner ins digitale Medium überführt wurde. Dass es sich nicht um ein Abbild mit Referenz in der Wirklichkeit handelt, ist so oder so unumstritten. Entscheidend und strittig ist wieder die Frage, inwiefern es sich hier noch um ein Bild handelt.
Da in diesem Fall keinerlei Veränderung der Szenerie vor sich geht, ist man zu einer schnellen Antwort versucht. Dies ändert sich, wenn der Reload-Befehl zeigt (was man schon beim Ladeprozess bemerkt haben mag), dass hier ein Bild im Bild vorliegt. Genaugenommen liegen sogar Bilder in Bildern vor, denn zum einen setzt sich das Bild im Bild aus 4 Bilddateien zusammen, zum anderen wurde der HTML-Seite ein Bild als Background zugeordnet, das automatisch so oft geladen und nebeneinander plaziert wird, bis der gesamte Bildschirm damit bedeckt ist. Und wie beim Tapetenkleben ist es so, dass sich bei professioneller Arbeit am Ende die Bahnen nicht mehr ausmachen lassen. Wie viele Bahnen geklebt werden müssen, liegt natürlich an der Größe der Wand: Und da ist der 12" Monitor meines Laptops freilich schneller gefüllt als der 20-Zoller einer Multimedia-Agentur. Insofern gibt es eine Tiefeninformation, die im Computer des Betrachters liegt.
Aber um diese geht es mir gar nicht. Ich will hier auf jene Tiefeninformation verweisen, die im Vergleich zur vorher behandelten geradezu an der Oberfläche liegt. Wir müssen uns nämlich nur den Quellcode anzeigen lassen, um zu sehen, dass 1. das vorliegende Bild aus mehreren Bildern besteht und 2. das eigentliche Bild mit Kind und Elefantenbeinen in ein Netz von weiteren Befehlsdaten gestellt wurde. Die Schlüsselwörter, die für viele freilich nur kryptische Zeichen sein werden, lauten permanentpic, randomfx oder randomaudio. Was dies konkret heisst, erkunden wir am besten auf der sinnlichen Ebene.
Sobald ich dieses Terrain des Innenbildes mit dem Cursor betrete, erscheint ein weiteres Image verbunden mit Sound. Das Bild lässt ein anderes Bild auftreten und Geräusche erklingen. Wie der wiederholte Versuch zeigt, lässt es an der immer gleichen Stelle immer andere Bilder und Töne erscheinen. Dies ist die Folge jener Wörter randomfx oder randomaudio, die dafür sorgen, dass auf den Mouse-Kontakt hin aus den zur Auswahl gestellten 4 Image- und 3 Audio-Dateien jeweils eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wird.
Die weitere Erkundung zeigt, dass das Bild in 4 Zonen aufgeteilt ist, die jeweils bei Mouse-Kontakt eine Bild- und eine Sounddatei aktivieren. Das anfangs recht überschaubare Bild erweist sich als "ein riesiges labyrinth der subjektiven beziehungsebenen eines menschen". Dieses Labyrint liegt allerdings nicht schon am Anfang der Rezeption vor, es ergibt sich erst im Prozess der Rezeption. Und zwar anders als beim Film erst in Folge der Erkundung durch den Leser. Der Rezeptionsprozess, darauf kommt es an, bestimmt die Präsentation. Anders gesagt: Das Bild wird erst im Prozess seiner Rezeption fertiggestellt.
Dieses Prinzip der "verteilten Autorschaft" ist vom Hypertext her bekannt, und Christiane Heibach hat die verschiedenen Formen dieser kooperativen Ästhetik in ihrer Dissertation ausführlich beleuchtet. Die Gefahr des Hypertextes liegt bekanntlich darin, dass der Autor die Navigationsweise des Lesers nicht voraussehen und damit nur begrenzt Aussageintentionen im Text manifestieren kann. Das führt in der Konsequenz zu einer Akzentuierung nicht der Botschaft, sondern der Interaktion und arbeitet im Grunde der Ästhetik des Spektakels zu. Die Interaktion kann freilich auch streng kalkuliert werden, womit der Autor die Kontrolle behält und der Leser zum 'Executer' einer angelegten Manifestation wird. Dies ist im vorliegenden Beispiel der Fall. Zwar basiert die Execution auf einem doppelten Zufall: nämlich der ouse-Bewegung des Lesers und des programmierten Zufallsprinzips der ouseover-Events. Trotzdem ist das Ergebnis der Interaktion durch den Autor voraussagbar. Denn es kommt nicht auf die Reihenfolge der erscheinenden Bild- und Tondateien an, sondern auf das Stimmengewirr, das aus der quasi parallelen Abspielbarkeit der Tondateien entsteht und dessen Bedeutung sich im vorliegenden Kontext der Kindheitserinnerung leicht erschließt.
Indem der User dieses Wirrwar an Aussagen und Ansprüchen durch die ausbewegung nun selbst erstellt, gerät er in ein ambivalentes Rollenspiel. Als Betrachter der Szenerie tendiert er einserseits, sich mit dem Kind zu identifizieren und dessen Perspektive auf die Außenwelt einzunehmen. Als Executer ist er andererseits zugleich diese Außenwelt, die dem Kind gegenübertritt. Diese zweite Rolle lässt sich in dieser Form weder im analogen Bild vermitteln, weil dieses keine Entwicklung kennt, noch im Film, weil dieser nicht auf Interaktion beruht.

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