Lesen und Gesellschaft. Von Frankenstein zu Star Gate |
von Felix Keller |
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Am Nullpunkt des Lesens Das Buch, die Bibliothek, die Lektüre, das Selbstbewusstwerden einer gesellschaftlichen Klasse, die damit verbundene Schliessung eines ganzen kulturellen Systems, dies alles bildet eine gesellschaftsildende Matrix, in der die verschiedenen Elemente wechselseitig aufeinander verweisen. Das Lesen ist also nur Bestandteil eines grösseren Zusammenhangs, lässt sich nicht isoliert von diesem betrachten. Vor allem ein Gegenüber besitzt es in dieser Hinsicht: das Schreiben. Mit anderen Worten, das Lesen und Bewusstwerden ist nicht unabhängig auch von einer bestimmten Schreibweise selbst zu denken. Diesen Zusammenhang hat Roland Barthes in seinem Werk «Am Nullpunkt der Literatur» untersucht und dabei das Konzept der «Schreibweise» entwickelt. Die Schreibweise eines Autors, das ist nicht sein «Stil». Der Stil, er verweist auf die Individualität, ja Körperlichkeit des Autors selbst, ist mit seiner Person auf höchst intime und immer auch einmalige Weise verbunden. Der Stil, so Barthes, vergegenständlicht die «fleischliche Struktur» des Autors. Anders die Schreibweise, die Schreibweise, sie ist der Pakt des Autors mit der Gesellschaft.[13] Die Schreibweise definiert die Form: das, was wie in einer bestimmten Zeit sagbar ist. Und das, was in einer bestimmten Zeit auf eine bestimmte Weise sagbar ist, die Schreibweise also, ist Ausdruck der Gesellschaft selbst, deren Teil der Autor ist. Zwar können verschiedene Schreibweisen in einer Zeit existieren, die Wahl der Schreibweise ist also immer auch ein Akt der Freiheit, doch, so Barthes, «es ist dem Schriftsteller nicht möglich, seine Schreibweise in einer Art zeitlosem Arsenla der literarischen Formen auszusuchen».[14] Das Beispiel einer Schreibweise, explizit auch von Barthes diskutiert, die hier in einem besonderen Kontext auftauchte, ist der Briefroman. Wie gesehen, der Briefroman als bestimmte Form, als bestimmte Schreibweise, ist Ausdruck eines bestimmten sozio-historischen Ortes. Im Briefroman verknüpfen sich Öffentliches und Privates just in einem Moment, an dem sich eine soziale Klasse ihrer selbst bewusst wird. Und in verblüffender Ähnlichkeit mit Jürgen Habermas Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit diagnostiert denn auch Barthes die literarische bürgerliche Öffentlichkeit als wesentlicher Ort, an dem das Verständnis von Literatur und auch Politik erst entstand, ein Ort, der seine Geltung bislang noch nicht verloren hat. Das Entscheidende ist nun, dass an diesem Ort, wo die bürgerliche Literatur und die lesende Klasse gleichsam zu sich selbst kommt, die Schreibweise noch kein Problem darstellt. Sie ergab sich aus der Organizität dieses Ortes selbst, fügt sich vollständig in seinen gesellschaftlichen Ort, ist gleichsam ein euphorisches zu sich selbst kommen:
Ich bin kein Literaturwissenschaftler und kann deshalb die Geltung dieses Abschätzes nicht beurteilen, doch sie verhilft vieles zu verstehen. Barthes wesentliches Argument lautet nun, und hierin kommt er Habermas Diagnose verblüffend nahe (ohne dass die beiden auf sich verweisen würden), dass dieser ideale Ort, wo Schreiben und Lesen, Gesellschaft und Individuum, Literat und Publikum, noch eine Einheit bildeten, mit der einbrechenden Moderne und ihren sozialen Konflikte auseinanderbricht. Der Autor ist nicht mehr Bestandteil einer Klasse und ihres kulturellen Milieus, die ihn hervorgebracht haben. In einem konfliktiven Prozess der Modernisierung, sich ausdifferenzierend in verschiedene Funktionen und Teilklassen, geht dieser Ort verloren: das literarische Feld mit seiner eigenen Produktions- und Reproduktionslogik ensteht. Und damit einher geht aber auch der Verlust der gemeinsamen Sprache von Autor und Leser. Die Schreibweise wird dann zum Schwierigkeit, indem die soziale und symbolische Ordnung, als Stichtag gibt Barthes das Revolutionsjahr 1848, in Konflikten und Modernisierung zersplittert. Die gemeinsame Sprache geht verlustig und das Problem der Schreibweise tritt hervor. Nunmehr als isolierte und freischwebende Existenz steht der Autor nun vor einem unmöglichen Zwiespalt: soll er vergangene Schreibweisen imitieren, deren Gesellschaft aber abhanden gekommen ist? Oder soll er eine Sprache schreiben, die nur die seine ist, aber nicht diejenige der Gesellschaft, weil er zur keiner Gesellschaft mehr gehört, weil es diese in ihrer homogenen Form nicht mehr gibt? In dieser Zerrissenheit erst taucht die Idee auf, dass jemand «gut» schreiben können - es ist nach Barthes nichts weniger als das kleinbürgerliche Echo einer vergangen Epoche in der Zeit ihrer Unmöglichkeit. Ebenso selbstwidersprüchlich ist der Versuch, jegliche Schreibweise als solche zu unterdrücken; Barthes meint das Beispiel von Camusë der Fremde: sie wird selbst zu einem Versuch, etwas Unmögliches zu erreichen, zu einer bestimmten Schreibweise also. Ähnlich ergeht es dem Versuch, die Sprache und die Schreibweise selbst zu unterminieren, William Burroughs sei hier genannt. Will der Autor sich nicht durch vergangene Schreibweise antiquieren, so bleibt ihm nur noch die Utopie: eine literarische Sprache zu erreichen, die die Unmittelbarkeit, welche die Natürlichkeit einer sozialen Sprache wieder einholte. Indes die Bedingungen sind nicht mehr gegeben und: «man erkennt, dass ein modernes Meisterwerk unmöglich ist, da der Schriftsteller durch seine Schreibweise in einen Widerspruch gebracht wird, aus dem es keinen Ausweg gibt: entweder wird das Thema des Werkes naiv den Konventionen der Form ausgeliefert, die Literatur bleibt unempfänglich für unsere gegenwärtige Geschichte, und der Mythos der Literatur wird nicht überwunden, oder aber der Schriftstellt erkennt die weite Neuartigkeit der gegenwärtigen Welt an, verfügt aber, um von ihr zu berichten, nur über eine glänzende jedoch tote Sprache.»[16] Dies genau bezeichnet den Nullpunkt der écriture, des Buches und damit auch der Literatur. next |
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