Lesen und Gesellschaft.  Von Frankenstein zu Star Gate

 

von Felix Keller


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Lektüre für Nomaden

Barthes' Aufsatz, als Diagnose der Krise publiziert, hat gleichzeitig ein Moment in sich, das nach Aussen verweist. Da Schreiben und Lesen einen unentwirrbaren Zusammenhang bilden,  lässt sich dem Konzept der Schreibweise eines der Leseweise gegenüberstellen, und ich möchte die Idee einer Nullpunkt der Literatur, die derjenige der Schreibweise meint, die Idee eines Nullpunkts des Lesens oder der Leseweise gegenüberstellen. Das Ideal des Briefromans und der Gesellschaft, die ihn hervorbringt, ist in der Verquickung und Vergegenwärtigung von Öffentlichem und Privaten, von Autor und Rezipient gleichzeitig auch eine Leseweise, die als solche noch jenseits eines Literatur- und eines Buchbetriebs steht. Briefe schreiben, dies gehörte zur alltäglichen Praxis der Vergegenwärtigung und wenn ein Brief geglückt ist, wird er zur öffentlichen Sache, etwas das sich zu publizieren lohnt; mehr noch, und umgekehrt, höchst Privates, nämlich Briefe werden wiederum bereits mit einem Blick auf ihre Veröffentlichung verfasst. Literatur, Öffentlichkeit, Privatheit, Lesen und Schreiben gehen in dieser Vorstellung kontinuierlich ineinander über - sie sind gleichzeitig Genese von Gesellschaftlichkeit. Mit dem Zusammenbruch dieser zeit-räumlichen Homogenität wird auch die Leseweise wiederum zum Problem: das Lesen bedeutet nicht mehr Vergegenwärtigen der eigenen Sprache und Lage, Lesen bedeutet auch Entfremdung, Entfremdung in Zeit und Gesellschaft, in dem die Sprache des Ringen des Autors sich in der Unmöglichkeit der gemeinsamen Sprache ergibt, weil es den Leser nicht mehr gibt, sondern nur noch unendlich zersplitterte soziale Orte, in denen gelesen wird, in denen eine Sprache als eine soziale Sprache zwischen Lesen und Schreiben allenfalls sich partikulär, zeitweise einstellt, um dies nicht auszuschliessen, aber nicht eine Subjektivität und Gesellschaftlichkeit ergibt, geschweige denn an eine Hervorbringung von Gesellschaft selbst. Das Lesen in dieser Form ist noch rückwertsgewandte Utopie. Es bräuchte eine Lektüreweise für Nomaden, Nomaden, die keinem bestimmten Ort verhaftet sind, die gleichsam in verschiedenen Territorien präsent sind.[17] So müsste die spiegelgleiche These über den Zustand der Leseweise eigentlich lauten, und die damit verbunene Bibliothek, eine Bibliothek für Nomaden, sie müsste eigentlich erst noch erfunden werden.

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[17] Der Idee nach ganz entlang Deuleuze und Gattaris Entwurf des nomadischen Subjekts (vgl. Deleuze und Gattari, S. 520ff.).:p>