Lesen und Gesellschaft. Von Frankenstein zu Star Gate |
von Felix Keller |
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Noch lesen wir Gebrauchswanweisungen Die Frage aber bleibt auf jeden Fall: lässt sich ein Bild sprachlich erschöpfend erfassen, ist ein Zeichensystem unter anderem oder besitzt es eine eigene Qualität, die sich nicht auf Textlichkeit reduzieren lässt? Ganz offensichtlich weist beispielsweise ein einzelnes Bild keine zeitlich-lineare Struktur auf wie etwa ein Text. Insofern ist die Befürchtung zunächst berechtigt, dass sich damit auch der Logos, der sich nur linear in Sprache entfalten kann (man erinnere sich nur an die Tropen Deduktion und Abduktion, bei beiden gibt es vorher und ein nachher), gänzlich verabschiedet. Ja, die Erzählung selbst, die ebenfalls in ihrer Dramaturgie zeitlich-linear ist, wird durch exzenrische Bildlichkeit gestört. Es liesse sich hier durchaus die These Lyotards weiterdenken, dass die «grossen Erzählungen» verloren gegangen sind, die grossen Erzählungen, die nicht zuletzt in Büchern vermittelt wurden, seien es die Bibel oder das Kapital. Indem die Bilder die Lebenswelten durchdringen müsste dies nun auch bedeuten, dass nunmehr nicht mehr nur die grossen, sondern auch die kleinen Erzählungen bedroht sind und damit auch die alltäglichen Zuhörerschaften und Leserschaften. Ob ein anderer «Pakt» zwischen Schreibenden und Gesellschaft, Leser und Gesellschaft, jenseits dieser klassischen Triade aufgrund neuer Voraussetzungen möglich ist, dies ist die Frage, die sich folgerichtig stellt. Das Medium der vergesellschaftenden Triade Leser, Autor und Buch ist die Schrift - ist eine solche nunmehr auch über das Medium des Bildes möglich, oder nicht, weil das Bild eine gänzlich andere Qualität aufweist als die Schrift. Hierbei wäre allerdings die Differenz zwischen Bild und Wort radikal gesetzt, und Benjamins Vorstellung der «Heuschreckenschwärme von Schrift» weist hier weiter auf ein mögliches Begreifen der Unterschiede, respektive Gemeinsamkeiten. Ebensowenig wie ein Wort tritt auch ein Bild vereinzelt auf, wenn von einer «Bilderflut» gesprochen wird, und ebensowenig sind Bilder als einzelne Entitäten gemeint, wenn von einer Revolution der Bilder gesprochen wird. Es wird also nicht die Zunahme einzelner Bilder wahrgenommen, sondern ganzer Serien von Bildern. Wenn aber ganze Schwärme von Bildern sich ausbreiten, von denen notabene niemand mehr ernsthaft besagen will, dass sie eine unmittelbare Referenz zur Gegenwart haben, diese Bilder aber in einem bestimmten Zusammenhang zueinander bestehen, haben wir es dann nicht mit einer neuen Schrift im Sinne der strukturalen Linguistik zu tun, weil bedeutungstragende Elemente in einem System zueinander stehen? Ist in ihrer «Bildlichkeit» nun aber gleichzeitig ein Mehr zu der Schrift enthalten (oder ein Mangel)? In der Tat trifft man damit auf einen Bereich, der sowohl eine neue Ikonologie im Sinne Mitchells wie auch eine Bildhermeneutik (etwa nach den Entwürfen von Stefan Müller-Dohm) am Entstehen sind. Eine neue Lektüreweise der Welt, und ich sage nun bewusst nicht mehr Lesen, hat denn auch bereits Walter Benjamin gefordert: Gefragt sei eine neue Poetologie, jenseits des Buches, jenseits der Schrift als Ausdruck der Sprache, heisst es in dem besagten Artikel in der «Einbahnstrasse»: «An dieser Bilderschrift werden Poeten, die dann wie in Urzeiten vorerst und vor allem Schriftkundige sein werden, nur mitarbeiten können, wenn sie sich die Gebiete erschliessen, in denen (ohne viel Aufhebens von sich zu machen) deren Konstruktion sich vollzieht: die des statistische und technischen Diagramms.» Es wäre also nicht nur eine Analyse vonnöten, eine neue Schriftkundigkeit, sondern gleichtzeitig auch ein bestimmter, bewusster, setzender, spielender, verfremdenden Umgang mit der neuen Bilderschrift, so wie die traditionelle Schrift in der Poetik aufgehoben worden ist.»[23] Da aber die Welt sich auch im Modell der traditionellen Lesekultur sich nicht nur über die Schreibweise erschliesst, sondern durch ein vergesellschaftendes Einhergehen von Schreib- und Leseweisen, so musste die Frage nach der neuen Poetik der Bilderschrift auch mit der Frage nach einer neuen Lektüreweise einhergehen, einer neuen Art zu lesen. In Ansatz ist diese Möglichkeit schon bei der Entzifferung des Pergamon-Fries dargelegt werden. Weiter und radikaler weist die Konstruktion eines utopischen Ortes, wohl gewahr, dass seit Donna Haraways Cyborg-Mythos utopische Orte nur noch ironisch verstanden werden kann. Zurück in die Zukunft also nach Ägypten. next
[23] Benjamins Hoffnung auf eine Möglichkeit der Artikulation jenseits traditioneller Verfahrensweisen ist hier sehr gross: «Mit der Begründung einer internationalen Wandelschrift werden sie ihre Autorität im Leben der Völker erneuern, im Vergleich zu der alle Aspirationen auf Erneuern der Rhetorik sich als altfränkischen Träumereien erweisen werden.»:p> |
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