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Schreiben
"Wie können
Sie denn das vereinbaren: Computer und Schreiben?" werde ich
oft gefragt. Programmierer schreiben in der Regel keine Bücher
sondern Programmcode. Und das wurde in den frühen siebziger
Jahren zum Problem. Als man von den handlichen Lochkarten zur
direkten Dateneingabe am Bildschirm überging, wurde Software
benötigt, die das Korrigieren, Einfügen, Löschen
von Programmzeilen erlaubte. Es tauchten die Programmeditoren auf.
Ich habe am Arbeitsplatz programmiert und zu Hause auf meiner "Adler"
in mühseliger Arbeit Bücher getippt, doch es wäre
mir nie in den Sinn gekommen, dass ich auf dem Editor meine Texte
viel bequemer verfassen könnte. Schade, die Idee lag
eigentlich auf der Hand. Andere hatten sie und sind damit reich
geworden. Paul Lutus zum Beispiel, ein ehemaliger
Nasa-Ingenieur, zog 1976 in den Busch von Oregon und baute sich
eine Waldhütte. "Eines Abends, als ich im gelben Schein
der Petroleumlampe den Scientific American las, sah ich eine
Anzeige für den Apple II. Hui, dachte ich, ein Personal
Computer! Mit einem Computer konnte man eine dreidimensionale Welt
aus bunten Strichen zeichnen. Geschichten schreiben..."
Er bestellte sich das Gerät und schrieb auf seiner Waldhütte
eines der ersten Textprogramme, den Apple-Writer, und verkaufte es
für 7500 Dollar dem Hersteller. Zwei Jahre später
schrieb er eine neue Version und stellt in einem Aufsatz fest: "Während
ich dies schreibe, wirft die neue Fassung am Tag mehr an Tantiemen
ab, als der ursprüngliche Verkaufspreis ausmachte."
Die Entdeckung des Computers als Sprach-Werkzeug leitete die
lawinenartige Verbreitung der Personal-Computer ab 1980 ein. Denn
was wäre der PC ohne die Möglichkeit, ihn als
Schreibmaschine zu benutzen? Drei Viertel aller PC werden für
die Textverarbeitung eingesetzt. Aus dem "Rechner" ist
definitiv der "Texter" geworden. Denn Schreiben und
Tippfehler korrigieren, darunter kann sich jeder etwas vorstellen,
das ist etwas Brauchbares auch im Alltag; Rechnen dagegen liebt
kaum jemand und können müssen es nur noch Börsenbroker
und Serviertöchter.
Stil
Nach der ersten
Textverarbeitungs-Euphorie stellte sich die Frage: Wie beeinflusst
das Sprachwerkzeug Computer unsere Sprache? Ist es wirklich so,
dass der Macintosh "saloppen Schreibstil fördert und
schwammige Themen, einfache Satzstrukturen und ein kindliches
Vokabular", wie eine Untersuchung der Universität von
Delware 1990 behauptete, der IBM-PC dagegen weniger. Es hänge
mit der grafischen Oberfläche zusammen. Das könnte die
These stützen, dass wir wieder zur Bilderschrift, also zum
Vor-Alphabetismus zurückkehren. Der Computer beeinflusst
den Stil, das ist gewiss. Nur wie weiss so genau niemand. Schon
bei der Schreibmaschine gab es bloss Vermutungen. Zum Beispiel,
dass sie für den "kargen Stil des Ernest Hemingway"
verantwortlich gewesen sei, da er "einer der ersten
Schriftsteller war, die in die Maschine tippten". Das
schreibt der Stilist Wolf Schneider, der übrigens den
Computer eine "elektronische Schlampe" nennt. "Der
Computer begünstigt einen schlampigen Umgang mit der Sprache,
das im Durchschnitt schlechtere, ärmere Deutsch".
Sein Hamburger Journalistenkollege Dieter Zimmer stellt sich in
seinem Buch "Die Elektrifizierung der Sprache" ebenfalls
die Frage: "Verändert der Computer das Schreiben?"
Er beobachtet einen "Qualitätssturz." Die Zahl der
Tippfehler in computergeschriebenen Texten überschreite oft
alles Gewohnte, und da hat er sicher recht. Denn durch die
Leichtigkeit des Korrigierens, das man auf später aufschiebt,
bleibt vieles vorläufig und auch im Vorläufigen stecken,
auch wenn es schön lasergedruckt schon so fertig aussieht.
"Tipppfeleren Sie jetzt nach Herzenslust. Tippfehler
werden belohnt", warb der Mathematiker und Computerhändler
Hannes Keller einst für sein Textprogramm "Witchpen"
und verkaufte die Schlampigkeit im Umgang mit der Sprache gar als
Tugend. "Das Gefühl für Rechtschreibung überhaupt
scheint sich aufzulösen", schreibt Zimmer. Vielleicht
ist bei der Rechtschreibreform ein derartiges Lamento losgebochen,
weil die Autoren das letzte Gefecht um ihre Sprachkompetenz führen.
Denn immer mehr haben wir an die Maschine delegiert.
Rechtschreibung? Kein Problem, dafür haben wir ja das
Rechtschreibprogramm mit Thesaurus. Gedichte schreiben? Reimlexika
zuhauf. Drehbücher? Auch dafür gibts Ideen-Prozessoren.
Sprachkompetenz wird eine Frage der richtigen Software. Dass
die Maschine, wenn es um Rechtschreibung und Korrektheit geht,
noch immer beliebig viele Fehler macht, macht sie uns eigentlich
sympatisch. Zum Beispiel wenn sie uns für "Sophokles"
den Korrekturvorschlag "Schöpfkelle" macht, wird
sie geradezu menschlich. Bloss Sinn und Unsinn kann die Maschine
nicht unterscheiden. Wir zwar auch immer weniger.
Schreibstrategie
Dieter
Zimmer beobachtet eine grössere
Geschwätzigkeit der Autoren, gefördert durch die
Leichtigkeit des Schreibens am PC. "Jedenfalls haben manche
Computerschreiber bekannt, das ihre Briefe oder Artikel oder Bücher
irgendwie länger geworden seien, seit die Maschine auf ihrem
Schreibtisch steht." Jeder am Schirm tippende Autor stellt
fest, dass die Textmenge in der Regel rasch wächst, und die Mühsahl
erst beginnt, wenn die "textliche Bastelarbeit" (Zimmer)
Form und Mass bekommen soll. Der "Rausch des Korrigierens"
(Zimmer) wird dann schnell zum Kater. Der Eindruck Zimmers,
dass die Texte länger werden, wird durch einen Blick auf die
Seitenzahlen neuerer deutscher Literatur erhärtet. Wer heute
nicht mit tausend Seiten auftritt ist ein Niemand. Es genügt
schon, wenn sie so locker gedruckt sind wie Handkes "Jahr in
der Niemandsbucht." Karge Inhalte lassen sich heute
blitzschnell mit Zeilenabstand und Schriftgrösse zu
beeindruckender Grösse aufblasen. Das Schreibwerkzeug
beeinflusst nicht nur den Stil, sondern noch mehr die
Schreibstrategie. Damit meine ich die Art, wie ich ein Textproblem
löse, zum Beispiel einen Roman. Einst entwarf ich ein
Manuskript von Hand mit Bleistift, wie John Steinbeck, tippte zwe
Korrekturfassungen mit der Maschine durch, das wars dann. Ein
ziemlich lineares Arbeiten. Heute ist der erste Entwurf sehr
vorläufig, wird mit der Gliederungsfunktion strukturiert.
Dann folgen unendlich viele Korrekturgänge, mal hier mal
dort. Vielleicht liegt es am Alter, vielleicht am Computer:
Ich verliere mich immer tiefer im Sumpf der Korrekturen, Änderungen,
im Suchen und Ersetzen von Namen, Adjektiven und Füllwörtern.
Habe deswegen schon Schreibprojekte aufgegeben. Die unendliche
Leichtigkeit des Schreibens am Computer wird zur unendlichen Mühlsal,
der Fluss kommt einem irgendwie abhanden. Je mehr Computer
ich einsetzte, desto länger arbeitete ich bis zum fertigen
Manuskript. Schreiben wird immer mehr vom linearen zum
parallelen Arbeiten. Der Text entsteht ähnlich wie eine
Skulptur, zuerst in Umrissen, dann immer deutlicher, genauer.
Jemand hat das eine "architektonische" Schreibstrategie
genannt. Oft wird bemängelt, am Computer fehle die Übersicht,
da der Bildschirm nur einen kleinen Textausschnitt zeige. Das
stimmt mit den heutigen Werkzeugen wohl nur bedingt. Durch die längere
und intensivere Auseinandersetzung mit dem Ganzen, das Zurücktreten,
Zurückspringen, Strukturieren, kann die Übersicht sogar
besser werden. Das Gefühl für den Sprachfluss, den
Bewusstseinsstrom, glaube ich, geht eher verloren. Ganz gewiss
jedoch geht die nachträgliche Einsicht in den Prozess des
Schreibens verloren. Denn Korrekturen, Verschiebungen, Änderungen
vollziehen sich spurlos. Was einmal gelöscht ist, ist vom
Winde verweht. Und es ist verloren für immer, nicht wie in
alten Pergamenten, auf denen hinter einem Text oft ein noch viel älterer,
noch wertvollerer zum Vorschein kommt.
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